#FEHLERausradieren:
Wie kommt man mit Einsatz von null auf digital?
Ein präsenzlastiges Weiterbildungsangebot in nur vier Wochen digitalisieren – dieses ambitionierte Vorhaben hat die IHK-Akademie Koblenz in die Tat umgesetzt. Welche Hürden dabei aus dem Weg zu räumen waren und wie #FEHLERausradieren sowie #BESSERwerden gelungen sind, erläutert Patric Raeschke, Bereichsleiter IT und Neue Medien, im Interview.
9. März 2022
© Sabine Reuther
Herr Raeschke, mit Beginn der Corona-Pandemie mussten Sie Ihr Fort- und Weiterbildungskonzept von heute auf morgen umstellen. Wie bewerten Sie diese Situation und Ihren Umgang damit aus heutiger Sicht?
„Es ist schon verrückt, was damals passiert ist. Man muss sich das mal verdeutlichen: Bis Anfang 2020 haben 90 bis 95 Prozent aller Seminare und Lehrgänge vor Ort in unseren Räumlichkeiten stattgefunden. Wir hatten für die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung zwar bereits einige Blended-Learning-Kurse im Angebot, also Präsenzveranstaltungen mit digitalen Anteilen, wie etwa Chat-Tools für den schnellen Austausch zwischendurch oder Zusammenkünfte im virtuellen Klassenzimmer. Doch mit der ersten Corona-Verordnung mussten wir im März 2020 vom einen Tag auf den anderen alle Lehrveranstaltungen absagen. Die Frage war: Was machen wir jetzt? Stellen wir den Betrieb komplett ein und warten das Ende der Pandemie ab?
Und? Was haben Sie getan?
Aufgeben war zu keiner Zeit eine Option für uns. Es war März, zwei Wochen vor Beginn der Osterferien, als wir uns dazu entschieden haben, unser Angebot auf Live-Online umzustellen. Wie genau wir das machen würden, war uns – ehrlich gesagt – anfangs nicht klar. Weder wir als strategisch Verantwortliche noch unsere Dozenten kannten sich damit aus – ganz zu schweigen von der technischen Umsetzung. Dennoch hatten wir das Ziel, nach den Osterferien wieder am Start zu sein. Uns blieben also vier Wochen. In dieser Zeit haben wir gemeinsam mit unserem IT-Dienstleister Vollgas gegeben. Wir haben eine Webmeeting-Lösung eingeführt, Lizenzen für unsere rund 1.500 Studierenden erworben und digitale Konzepte für eine Vielzahl der Kurse erarbeitet.
Nachdem das geschafft war, mussten wir unseren knapp 200 Dozenten die Technik nahebringen. Schließlich war nicht mehr viel Zeit, bis sie damit ihre Lehrgänge und Seminare würden abhalten müssen. Dementsprechend standen die Osterferien ganz im Zeichen von Dozenten-Trainings. Die größte Herausforderung für unsere Lehrenden war jedoch nicht, den Umgang mit der Technologie zu erlernen, sondern pädagogisch und didaktisch hochwertige Unterrichtskonzepte zu erarbeiten – und digital umzusetzen. Interaktiv zusammenzuarbeiten und hierfür zum Beispiel ein digitales Whiteboard zu benutzen, will gelernt sein. Hinzu kommt, dass es verschiedene Lehrertypen gibt. Die einen möchten auf das klassische Flipchart nicht verzichten, andere haben schnell die Vorteile des Whiteboards erkannt. Daneben gibt es Dozenten, die nicht von zuhause aus unterrichten möchten. Besonders gefreut hat mich, dass irgendwann eine schöne Dynamik entstanden ist. Die Lehrenden haben sich gegenseitig gecoacht und ihre Learnings weitergegeben. Unverzichtbar ist zum Beispiel, dass alle Teilnehmer die Kamera einschalten. Nur so kann der Dozent einschätzen, ob das Gesagte und Gezeigte beim Gegenüber tatsächlich ankommt. Nur so entsteht – zumindest in Maßen – die gewohnte Lehr- und Lernatmosphäre.
Die Dozenten sind das eine, Ihre Studierenden das andere. Wie haben sie auf die neue Situation reagiert?
Erfreulicherweise haben sie die Umstellung auf Live-Online sehr gut angenommen. Viele kannten das Webmeeting-Tool bereits aus ihrem beruflichen Alltag und hatten dementsprechend keinerlei Vorbehalte – zumal viele mit Mitte, Ende 20 noch jung und sehr digitalaffin sind. Neben umfangreichen Technik-Checks mit jedem einzelnen Studierenden haben wir alle bei der Inbetriebnahme des Tools via E-Mail, Chat oder Telefon über mehrere Tage hinweg unterstützt. Dieses Support-Angebot besteht übrigens bis heute.
Ihre Schilderungen klingen so, als sei vieles sehr reibungslos verlaufen. Gab es denn auch Hürden, die Sie nehmen mussten?
Natürlich gab es kleinere Probleme. Auch wenn die Mehrzahl unserer Studierenden mit der Umstellung auf Live-Online gut zurechtgekommen ist, hat der eine oder die andere etwas mehr Unterstützung benötigt. Zudem war der organisatorische Umgang mit Corona-Infektionen nicht ganz einfach. Da unsere Lehrgänge BAföG-fähig sind, dürfen die Studierenden nur eine bestimmte Anzahl an Fehltagen haben. Als nach der ersten großen Covid-Welle wieder Präsenz-Veranstaltungen stattfinden konnten, kam es zu einer Situation, die wir so nicht bedacht hatten. Studierende, die Kontaktperson waren, ohne selbst erkrankt zu sein, durften wegen der Quarantäne im Zweifel sogar mehrere Male nicht an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Dementsprechend fehlten ihnen – völlig unverschuldet – die Nachweise fürs BAföG. Das war der Grund, aus dem wir uns dazu entschieden haben, komplett auf hybride Veranstaltungskonzepte zu setzen. Dafür haben wir 13 mobile Video-Konferenzsysteme angeschafft – einschließlich 4K-Kameras, großer Displays, interaktiver Whiteboards und qualitativ hochwertiger Freisprecheinrichtungen. Man könnte sagen, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Und die Vorteile liegen auf der Hand: Heute können selbst Studierende, die zum Beispiel auf Montage sind, an einem Seminar teilnehmen. Vor zwei Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Gab es weitere Stolpersteine?
Rückblickend war es ein Fehler, dass wir uns selbst unterschätzt haben. Anfangs haben wir uns einfach nicht vorstellen können, was und wie viel sich tatsächlich digitalisieren lässt. Heute wissen wir: Wir hätten mutiger sein müssen. Ein strategischer Fauxpas war zum Beispiel, dass wir davon überzeugt waren, einen Workshop über die Anwendung von Office-Produkten nicht digital abhalten zu können. Ein Dozent wollte es ausprobieren. Und siehe da, es hat hervorragend geklappt, einen Excel-Grundlagenkurs online durchzuführen. Und die Teilnehmer sind – insbesondere wegen der zeitlichen Vorteile – Feuer und Flamme. Schließlich müssen sie nicht einmal ihren Arbeitsplatz verlassen, um sich fortzubilden. Daneben bieten wir zum Beispiel unseren Zertifikatslehrgang zum Social-Media-Manager und Führungskräfte-Coachings inzwischen digital an. Gruppenarbeiten virtuell auszuführen, ist in der praktischen Umsetzung nach wie vor eine Herausforderung. Hier haben sich Breakout-Räume etabliert, in die sich einzelne Gruppen zurückziehen können.
Was haben Sie in den vergangenen zwei Jahren gelernt? Welche positiven Erfahrungen nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Unsere positiven Erfahrungen mit Online-Workshops haben uns dazu bewogen, erste Lehrgänge komplett virtuell aufzusetzen. Die Weiterbildung zum E-Commerce-Manager hatten wir früher überhaupt nicht im Portfolio. Ebenso, wie Unternehmen neue Geschäftsmodelle erschließen, haben wir neue Themen und Lehrkonzepte für uns entdeckt. Diese Weiterentwicklung geht Hand in Hand mit unseren Kunden – was toll ist.
Außerdem haben wir gelernt, dass es nicht schlimm ist, Fehler zu machen. Was zählt, ist der Umgang damit. So destruktiv dieses Virus samt seinen Auswirkungen auch war und weiterhin ist, hat es uns doch die Möglichkeit eröffnet, mutig zu sein und Dinge ohne Anspruch auf Perfektion auszuprobieren – wohlwissend, dass Fehler jederzeit passieren können. Hier braucht es ein neues Mindset: Angst vor Fehlern zu haben, ist ein Fehler an sich. Einfach mal machen, ohne alle Eventualitäten vorab zu durchdenken und durchzuplanen – das ist es, was momentan gefragt ist. Und dabei auf die Wünsche der eigenen Stakeholder einzugehen – in unserem Fall die Studierenden und Lehrenden. Überhaupt würde ich mir wünschen, dass wir offener mit Fehlern umgehen und eine richtige Fehlerkultur etablieren, dass wir die Dinge kritisch hinterfragen und insgesamt mehr reflektieren – sowohl gesellschaftlich als auch politisch, wirtschaftlich und kulturell. Davon würden wir alle profitieren.
Herr Raeschke, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch und dafür, dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Als Bereichsleiter IT & Neue Medien der IHK-Akademie Koblenz e.V. verantwortet Patric Raeschke unter anderem die Entwicklung, Planung und Durchführung von Seminarangeboten in den Bereichen IT und Neue Medien. Zudem leitet er den Campus in Bad Kreuznach. Zuvor war er zuletzt bei der Industrie- und Handelskammer Koblenz beschäftigt, unter anderem als Referent für Handel und Stadtmarketing sowie als Referent für Existenzgründung und Unternehmensförderung.
Möglichkeit zur Vernetzung:
Patric Raeschke auf LinkedIn
Patric Raeschke auf Xing
Das Interview stammt aus der Zusammenarbeit mit der Haufe Media Lounge (www.medialounge.haufe.de) und wurde im Rahmen dessen auch von der Haufe Media Lounge erstellt, bearbeitet und zuerst veröffentlicht.